Agiles Arbeiten in der Praxis – Funktioniert das?

Agiles Arbeiten in der Praxis – Funktioniert das?

Ich arbeite im Team “Protection” in der Produktentwicklung der Zurich Versicherung, dabei beschäftigen wir uns unter anderem mit der Arbeitskraftabsicherung. Im letzten Sommer haben wir unsere Berufsunfähigkeitsversicherung umgestellt. Dabei ist es für uns ganz wichtig, nicht nur ein neues, sehr gutes Produkt auf den Markt zu bringen, sondern unseren Kunden auch die Relevanz einer Absicherung der Arbeitskraft begreiflich zu machen. Als ich im Spätsommer gefragt wurde, ob ich an einer Initiative teilnehmen möchte, die insbesondere jungen Leuten die Berufsunfähigkeit erklärt habe ich nicht lange gezögert. An dem Thema reizten mich insbesondere zwei Aspekte:

1) Das Projekt würde agil arbeiten. Das kannte ich bisher nur aus Workshops, bei denen wir  anhand praktischer Beispiele die Grundsätze von Design Thinking und agilem Arbeiten geübt haben. Die Chance, zu sehen, wie man dies bei Zurich real umsetzt, wollte ich mir nicht entgehen lassen.

2) Berufsunfähigkeitsversicherung greifbar und transparent machen: Hier war ich durchaus skeptisch, ob man ein doch so komplexes Produkt tatsächlich so vereinfacht darstellen kann, dass man auch junge Leute davon überzeugen kann.

Das agile Team: Viele Köche und ein Rezept

Divers und kompetent aufgestellt im agilen Team

Unsere Aufgabe bestand darin „junge Leute“ zielgruppengerecht für das Thema Berufsunfähigkeit zu sensibilisieren. Die erarbeitete Lösung wurde in sogenannte „User-Stories“ unterteilt. Man kann sich das so vorstellen, als ob man ein Buffet in einzelne Bestandteile unterteilt. Wenn der Kartoffelsalat fertig ist, so ist diese User-Story auch fertig, aber damit das Buffet ja noch nicht komplett. Dafür starteten wir im Spätsommer mit einem kleinen agilen Team: Das bestand das neben zwei Kollegen aus dem Team „Zielgruppenmanagement, die sich neben sehr viel Erfahrungen im agilen Kontext ein ganz breites Wissen zu „jungen Leuten“ aufgebaut haben, noch aus unserer lieben User Interface (UI)-Designerin, einem Studenten, der die Zielgruppe bestens vertreten hat sowie mir als Fachexpertin für das Produkt. Damit wir die Spielregeln auch einhalten, bekamen wir Unterstützung von einer Scrum Masterin, die uns super durch die Prozesse begleitet hat. Mit ganz verschiedenen Stärken und Expertisen machten wir uns nun an die Bestandteile unseres „Buffets“.

Einführung ins agile Arbeiten

Ein paar grundlegende Abläufe in einer agilen Initiative musste ich erst lernen

Ihr glaubt gar nicht, mit wie vielen fremden Begriffen ich in den ersten Wochen konfrontiert wurde (Backlog Refinement, UX Designerin, Generation Z, SEO Begriffe, Retro). Und ich hätte nicht erwartet, dass es bei Scrum so viele im Grunde festgelegte Treffen und Termine gibt. Das Team tauscht sich täglich in einem so genannten “Daily” 15 Minuten zum aktuellen Stand der Arbeiten aus. Im anschließendem 15-minütigen “Follow-up” bespricht man solche Themen, bei denen es Rückfragen gibt oder bei denen man ein Feedback der Gruppe braucht. Neben den täglichen Gruppenterminen hat man sogenannte “Planning-Termine” mit dem Verantwortlichen der Initiative (Product Owner), in denen die anstehenden Teilziele festgelegt werden. Zudem stellt man die Ergebnisse in einem “Review” den Stakeholdern vor. Das sind Kollegen aus betroffenen Bereichen, z.B. Digital Marketing, die letztendlich die Umsetzung übernehmen. Zu guter Letzt gibt es noch die “Retros”, bei denen man die Zusammenarbeit immer mal wieder überprüft.

Um es nochmal am Beispiel des Buffets zu erläutern: Im Planning wird entschieden, dass das Team in diesem Sprint den Kartoffelsalat macht. Im Daily berichtet jeder Einzelne des Teams, was er schon erledigt hat (z.B. Gurken geschnitten). Sollte es Diskussionsbedarf geben, so wird dies im Follow-up geklärt. Im Stakeholder Treffen (Teilnehmer z.B. der Gastgeber) werden dann die Fortschritte vorgestellt – Kartoffelsalat und Frikadellen sind fertig, im nächsten Sprint planen wir die Schnitzel zu braten. In den Team-Retrospektiven hinterfragt man, ob man sich in der Zusammenarbeit noch steigern kann, z.B. „es hätte mir geholfen, wenn du mir früher Bescheid gesagt hättest, dass du Hilfe beim Zwiebel schneiden brauchst. So kamen wir in Zeitverzug“.   

Unser kleines Team hat sich unheimlich gut ergänzt und verstanden – ich nenne es auch liebevoll „mein Zweit-Team“. Man schaut nochmal mit einem anderen Blickwinkel auf Dinge, lernt neue Leute, Vorgehensweisen und Ansätze kennen und schaut dabei einfach mal über den Tellerrand hinaus.

Das Testessen: Funktioniert und gefällt das Ergebnis?

Testen, testen, testen – ein wichtiger Prozess im agilen Arbeiten

Als wir unser MVP – Minimum Viable Product, also unsere Webseite zur Berufsunfähigkeit für junge Leute soweit fertig hatten, haben wir uns einem ersten großen Usertest gestellt. Ein MVP ist eine erste Produktversion, die auf den Markt gebracht werden kann Diese haben wir bei einem sogenannten „Usability Testessen“ in lockerer Atmosphäre bei Pizza und Getränken einigen Testern aus der Zielgruppe gezeigt und ihr Feedback eingeholt.  Mehr Infos zu diesem spannenden Format findet ihr unter https://usability-testessen.org/.

Diese „Bewährungsprobe“ war extrem aufregend! Man durfte gegenüber demjenigen, den wir interviewt haben, nicht sagen, warum wir die Umsetzung so gemacht haben. Manche haben z.B. unsere aufklappbaren Elemente auf der Website nicht gefunden. Dann sitzt man als Beobachter daneben und denkt „Wieso siehst du das nicht? Das ist doch ganz offensichtlich, dass man da drauf klicken soll…“. Nach den Tests haben wir dieses Element so umgestaltet, dass diese blinken und nun auch tatsächlich angeklickt werden. Jedes Lob der Tester macht einen aber auch stolz und das ist ein super schönes Gefühl! Nach gut 3,5 Monaten ist unsere Website fertig und auch online. Ihr könnt euch vom Ergebnis gerne hier selber überzeugen.

Agiles Arbeiten funktioniert wirklich

Die Mitarbeit in dieser Initiative war eine wahnsinnig spannende Erfahrung und ich kann nur jedem raten, sich auch mal auf „agil“ einzulassen. Diese Art, sich immer wieder zu hinterfragen, gemeinsam gute Lösungen zu entwickeln und mit Kundenfeedback regelmäßig zu optimieren und dabei noch Spaß an der Sache zu haben, war echt top! Ich bin gespannt, welche Initiative unser Zielgruppenmanagement als nächstes umsetzt. Aber das werde ich sicherlich bald hören, denn ich werde mich auch weiterhin regelmäßig mit meinem „Zweit-Team“ zur Mittagspause treffen, um den Kontakt aufrecht zu erhalten! Ich habe auf dieser Reise viel gelernt:

– Agiles Arbeiten funktioniert wirklich 🙂

– Team- bzw. sogar bereichsübergreifendes und interdisziplinäres Arbeiten und sich selbst organisieren macht Spaß

– Wir haben viel Unterstützung von vielen Kollegen bekommen und auch mein Chef hat mich super unterstützt, da ich für meine „normalen“ Tätigkeiten wenig Zeit hatte

– Kundenfeedback einholen ist extrem aufregend (wie früher im Kunstunterricht, als man auch nicht wusste, ob der Lehrer die Intention verstanden hat)

– Ich schaue mir künftig Webseiten sehr viel genauer an

– Junge Leute zu gewinnen ist eine Aufgabe für das ganze Unternehmen

– Ja, es ist möglich komplizierte Versicherungsprodukte einfach und verständlich darzustellen

Eine Reise, die sich für mich auf jeden Fall gelohnt hat!

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Beitrag von:
Sabine Striepe
Seit fast 20 Jahren bei Zurich tätig und davon die meiste Zeit in der Produktentwicklung (bis heute).

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