Gastbeitrag: Wie die digitale Versicherung entsteht

Gastbeitrag: Wie die digitale Versicherung entsteht

Eine komplett digitale Versicherung aufbauen – das ist der Traum vieler Insurtech-Startups. Mehr als ein Dutzend deutsche Teams ist gerade dabei, diese Vision in die Realität umzusetzen. Das Startup Ottonova aus München und das Finleap-Venture Element kommunizieren ihre Pläne ganz offen. Andere junge Tech-Unternehmen arbeiten im Stillen an diesem Vorhaben. Außerdem überlegen auch die traditionellen Player digitale Versicherungen von Grund auf neu zu starten.

Das Potential ist groß. Insurtech-Startups positionieren sich dort, wo Versicherungen den wenigsten Direktkontakt zu Kunden haben. Mit den verfügbaren Technologien etwa über das Smartphone haben sie einen direkten Draht zu den Versicherungskunden. Über den Zugriff auf Daten können sie besser interagieren.

Doch welche Vorteile könnte es haben, komplett eine digitale Versicherung ganz neu aufzubauen und gleichzeitig neue Lösungen aus der gesamten Wertschöpfungskette einzubeziehen?

Noch ist hier keine digitale Versicherung live

Der Aufbau einer neuen digitalen Versicherung könnte einen klaren Wettbewerbsvorteil mit sich bringen, beispielsweise durch erhebliche Kostenersparnis, da sich Strukturen und Abläufe sehr schnell an neue Kundenanforderungen anpassen lassen. Die voll digitale Versicherung kann sich künftig schneller verändern und auf die Kundenwünsche eingehen.

Bislang ist aber noch keine digitale Versicherung in Deutschland live. Und das hat Gründe, der Aufbau eines solchen Unternehmens wird durch zahlreiche Eintrittshürden erschwert. Unter den neuen Playern wird beispielsweise gerade die Frage heiß diskutiert, ob eine Lizenz der BaFin unerlässlich ist. Sie würden damit zu einem unabhängigen Risikoträger. Das heißt: Die Startups sind für die Zahlung der Schäden zuständig, wenn etwas passiert.

Der Kapitalaufwand ist erheblich

Das Hauptargument für eine solche Lizenz lautet, dass sich mit ihr neue kundenzentrierte Versicherungsprodukte entwickeln lassen. Diese neue Flexibilität ist jedoch auch durch BaFin-Vorgaben beschränkt und durch die Notwendigkeit, eine Rückversicherung zu finden, die bereit ist, die neu entwickelten Versicherungsprodukte abzusichern und einen Preis dafür festzusetzen. Besonders für neue Versicherungsprodukte, für die es keine historischen Daten gibt, wird das schwierig sein.

Darüber hinaus erfordert der Erwerb einer Versicherungslizenz verfügbares Geld im mittleren einstelligen Millionenbereich für potenzielle Schäden, erheblichen Aufwand für die Einrichtung der technischen Infrastruktur und eine erhebliche Summe für Rechtskosten, da Ähnliches noch nie in Deutschland versucht wurde.

Insurtech Oscar macht Millionenverluste

Im Ergebnis müsste man also viel investieren, ohne auf einen Kundenstamm und eine etablierte Marke zurückgreifen zu können – und das bedeutet, ohne das Vertrauen, das vor allem für Lebensversicherungen, Altersvorsorge oder Berufsunfähigkeit von großer Bedeutung ist.

Beispiele aus anderen Ländern wie die US-Player Oscar und Lemonade sowie das chinesische Zhong An oder Fortify aus Großbritannien sind noch nicht lange genug am Markt, um den Erfolg der einzelnen Konzepte bewerten zu können. Erwähnenswert ist jedoch, dass Oscar 2015 trotz der staatlich unterstützten Einführung von Obamacare 105 Millionen US-Dollar verloren hat.

Bei den Banken sieht es anders aus. Es gibt bereits einige Beispiele völlig neu geschaffener digitaler Banken. 2016 ist die Solarisbank als die erste neue digitale Bank mit BaFin-Lizenz in Deutschland gestartet. Die Anzahl der Geschäftskunden haben seitdem zugenommen, es zählen beispielsweise Cringle, AutoScout24 oder fashioncheque dazu. Im selben Jahr erhielt N26, die bekannteste Herausfordererbank in Deutschland, ebenfalls ihre Lizenz.

Das Bankgeschäft ist nicht vergleichbar

Mit dem transaktions-orientierten Bankgeschäft ist der Versicherungsmarkt aber nur bedingt vergleichbar. Eine digitale Bank mit eigener Lizenz kann mit jeder Transaktion, die der Kunde vornimmt, Einnahmen erzielt: Beim Bezahlen des Straßenbahntickets auf dem Weg zur Arbeit, beim Kauf des Mittagessens, beim Online-Shopping. Die Interaktion zwischen Versicherung und Kunde beschränkt sich dagegen auf wenige Gelegenheiten: Unter anderem der Versicherungskauf, das Ändern von Daten und die Schadensmeldung. Versicherungen überleben insbesondere durch gutes Risikomanagement, nicht aufgrund der Anzahl von Transaktionen. Dieses Risiko trägt die Versicherung mit der Versicherungslizenz.

Doch obwohl die Versicherung mit der Lizenz das Risiko trägt, bedeutet das nicht, dass diese den Großteil der Prämie erhält. Bei Sach- und Haftpflichtversicherungen beispielsweise fließen laut BaFin-Bericht etwa ein Drittel der Prämie in den Vertrieb, die Sachbearbeitung und das Schadensmanagement. Insurtech-Unternehmen sind bei diesen Teilen des Geschäfts bereits Großteils beteiligt. Durch ein BaFin-Lizenz hätten sie auf diesem Gebiet keine neuen Vorteile.

Das Beste beider Welten

Eine BaFin-Lizenz zu erwerben und damit die volle Risikoverantwortung zu übernehmen, ist also für kaum ein Insurtech wirklich reizvoll. Eine rein digitale Versicherung werden sie nicht aufbauen. Stattdessen besteht die große Chance, dass sich das Beste aus beiden Welten zusammenfindet. Haftpflichthelden ist ein gutes Beispiel für ein Insurtech-Unternehmen für Haftpflichtversicherungen, das alle Glieder der Wertschöpfungskette abdeckt. Nur die Kapitalabsicherung wird nicht von dem jungen Unternehmen übernommen, dafür hat das Startup einen Partner.

Das Insurtech trägt somit nicht das Risiko der Versicherung, ist aber verantwortlich für den erheblichen Aufwand etwa im Vertrieb oder Schadensmanagment. Der Kooperationspartner eines solche digitalen Anbieters kann ebenfalls profitieren.

Kooperation als Chance

Wie im Vertrieb ist auch der Service in vielen klassischen Versicherungen gekennzeichnet durch begrenzte Kanäle und Öffnungszeiten.  Die Prozesse bei Schadensmeldungen sind nach wie vor oft langsam und umständlich. So lassen sich Schäden zum Beispiel noch zu wenig über das Mobiltelefon melden. In all diesen Disziplinen können die Versicherungen von den digitalen Newcomern lernen und Kunden durch Kooperationen attraktivere Lösungen anbieten.

Betrachtet man also die derzeitige Entwicklung der deutschen Insurtech-Unternehmen und die Glieder der Wertschöpfungskette, die diese bereits abdecken, zeigt sich: Das Risiko, selber eine BaFin-Lizenz zu beantragen, lohnt sich oft nicht. Die Vorteile überwiegen, sich eine aufgeschlossene und flexible Versicherung mit vorhandener Lizenz als Partner zu suchen. Den klassischen Anbietern kann man nur raten, auf diese Zusammenarbeit vorbereitet zu sein und ihr positiv entgegen zu sehen. Auf die Ergebnisse dieser Kooperationen dürfen wir gespannt sein.


Artjom Petersen ist Experte für digitale Transformation bei der zeb Unternehmensberatung. Ein weiterer Beitrag von ihm zu diesem Thema erschien im Online-Magazin gruenderszene.de.

 

 

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