Kunst neu gedacht: Wie mit viel Teamgeist und Erfinderkraft neue Korallenriffe im Meer entstehen

Kunst neu gedacht: Wie mit viel Teamgeist und Erfinderkraft neue Korallenriffe im Meer entstehen

Der Planet Hero Award-Sieger rrreefs e.V. im Porträt

Über hundert nachhaltige Projekte aus den Themenbereichen Klimaschutz, Ozean- und Gewässerschutz und Biodiversität haben sich für den Planet Hero Award 2021 beworben: Vier Projekte konnten die Jury hinsichtlich Innovation und Skalierbarkeit so überzeugen, dass sie mit dem Planet Hero Award ausgezeichnet wurden. In einer kleinen Serie auf dem Zurich Blog wollen wir die Preisträger vorstellen. Den Anfang macht rrreefs e.V.

Im Studium wären sie sich wahrscheinlich nie auf dem Campus begegnet, so unterschiedlich sind die beruflichen Hintergründe der Gründerinnen von rrreefs e.V.: Ulrike und Hanna sind beide Meeresbiologinnen, Marie ist bildende Künstlerin, Josephine hat Internationale Beziehungen studiert und Hannah hat einen Abschluss in Biologie und Urban Studies. Zum Glück hat der Zufall mitgespielt und das Team für eine innovative wie nachhaltige Geschäftsidee zusammengebracht: den Wiederaufbau von sterbenden Korallenriffen mit Tonmodulen. Wie es zur Idee kam, wie sie mit unerwarteten Haibesuchen umgehen und was sie mit dem Fördergeld des Planet Hero Awards erreichen wollen, erzählen Josephine Graf, die Leiterin von rrreefs Deutschland, und Dr. Ulrike Pfreundt, wissenschaftliche Leiterin, im Zurich Blog Interview.

Ulrike, du als Meeresbiologin und Marie als bildende Künstlerin habt zusammen die Idee von rrreefs entwickelt. Wie habt ihr euch kennengelernt und wie seid ihr auf die Idee gekommen, eure unterschiedlichen Talente für ein gemeinsames Projekt zu bündeln?

Ulrike: Ja, das war wirklich Zufall! Marie und ich haben unwissenderweise im gleichen Department an der ETH Zürich gearbeitet. Ich war damals wissenschaftliche Mitarbeiterin im Umwelt-Ingenieurwesen, hatte aber für mein Projekt die 3D-Drucker im Architektur-Department benötigt. Marie war dort, weil sie sich für 3D-gedruckte Tonskulpturen interessiert hat. Nachdem Marie dann einen Artikel über meine Forschung in der Campus-Zeitschrift gelesen hatte, hat sie mich darauf angesprochen. Bei einem Kaffee sind wir dann sehr schnell ins Gespräch gekommen. Offenbar verfolgten wir nämlich dasselbe Ziel, nur aus unterschiedlichen Richtungen: Wir wollten beide künstliche Korallenriffe entwickeln, um die Artenvielfalt in den Meeren zu schützen. Marie wollte ihre Kunst in den Dienst der Umwelt stellen und arbeitete an der groben Struktur und einem modularen System für künstliche Riffe, während ich den Fokus auf der Oberflächenbeschaffenheit hatte: Welche Oberflächengeometrie müssen künstliche Riffe haben, damit sich Korallenlarven darauf wohlfühlen? So haben wir uns perfekt ergänzt und auch direkt angefangen zusammenzuarbeiten.

Ihr baut aus Tonelementen neue Korallenriffe bzw. ergänzt angegriffene Riffe, damit sich diese wieder erholen können. Aber eine künstliche Wachstumsbasis für Korallen bauen, funktioniert das überhaupt?

Josephine: Ja, das funktioniert tatsächlich. Dass sich beispielsweise über Schiffswracks neue Korallenriffe bilden, wird schon lange beobachtet. Die Herausforderung war nun, ein nachhaltiges Material zu finden, das gute Voraussetzungen für die Ansiedlung von Korallen schafft und das Korallen hilft, komplexe Strukturen aufzubauen, die verloren gehen, wenn ein Riff stirbt. Wenn wir das Rückgrat vom Riff wiederaufbauen können, kommt der Rest von selbst.

Ulrike: Dass unsere selbst entwickelten Tonmodule dafür geeignet sind, zeigt unser erster Prototyp in Kolumbien vor der Insel San Andrés. Gerade letzte Woche haben wir ein neues Video erhalten, auf dem wir das Wachstum eines ersten Biofilms sehen und bereits unglaublich viele Fische. Inzwischen ist nichts mehr von der Originalfarbe des Tons sichtbar. Überall haben sich rote und grüne Mikroorganismen angesiedelt. Der Biofilm ist notwendig, damit Korallen dort zu wachsen beginnen. Besonders großartig ist es zu sehen, wie viele Fische um dieses Riff herumschwimmen!

Warum sind Korallenriffe so wichtig für unser Ökosystem?

Ulrike: Tropische Korallenriffe sind überall auf der Welt die natürlichen Barrieren vor Küsten. Hinter den Riffen ist das Wasser ruhig. Das begünstigt Seegraswiesen und Mangroven, die wiederum große Mengen an CO2 absorbieren. Gleichzeitig leben etwa ein Viertel aller Meereslebewesen in Korallenriffen. Riffe sind daher ein wichtiger Anker für die Artenvielfalt. Sie bilden die ‚Kinderstube‘ für viele Fische, die wiederum auch andere Ökosysteme im Meer mitbeeinflussen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch andere Ökosysteme geschädigt werden, wenn Riffe sterben.

Josephine: Und diese Effekte wirken sich auch auf die Menschen aus. Einerseits sind Riffe ein natürlicher Küstenschutz, der vor Erosion und Überschwemmungen schützt. Andererseits unterstützt ein belebtes Riff den Fischreichtum und bildet so die Nahrungsgrundlage für Küstenbewohner. Schöne Strände und eine reiche Tierwelt sind wiederum für Touristen attraktiv, die dann die Wirtschaft vor Ort beleben.

Was brauchen Korallen, um sich wohlzufühlen?

Ulrike: Einfach gesagt, eine feste unbewegliche Oberfläche mit viel Struktur. An Ton haben wir gedacht, weil dieser fest, aber sehr porös ist. Dadurch können sich die Organismen, die eine Art natürlichen Klebstoff nutzen, um sich an Oberflächen festzusaugen, sich besser festhalten. Wenn Korallen auf Ton wachsen, kann man sie fast nicht abbrechen. Riffe werden dadurch viel resistenter gegen Stürme und andere Umwelteinflüsse. Gleichzeitig hat Ton auch die passende farbliche Stimmung für Korallen (lacht).

Wirklich, können Korallen denn sehen?

Ulrike: Ja, das ist tatsächlich der Fall. Besonders das rote und weiße Farbspektrum finden Korallenlarven sehr attraktiv. Das ist das Farbspektrum, an dem sie sich orientieren.

Josephine: Gleichzeitig ist Ton natürlich auch ein sehr nachhaltiges Material, das überall auf der Welt abgebaut werden kann.

Was würdet ihr sagen, ist das Besondere an rrreefs?

Josephine: Ich denke, besonders an rrreefs ist, dass wir zwei Lösungen vereinen: Unterstützung der Biodiversität und Schutz vor Küstenerosion. Dieser doppelte Nutzen hat sich auch in San Andrés gezeigt. Im Jahr vor unserer Testphase war viel Riffsubstanz durch einen schweren Hurrikan verloren gegangen und die Insel hat echte Erosionsprobleme. Dass wir dort beim Riffwiederaufbau geholfen haben, hat uns viel Zuspruch aus der lokalen Bevölkerung gebracht. Es gibt zwei Tauchschulen auf San Andrés und beide fahren regelmäßig mit ihren Schülern raus zu unserem Riff und machen beim Tauchen eben jene Videoaufnahmen, mit denen wir das Wachstum der Korallen langfristig beobachten und auswerten können.

Taucher müssen die 3D-gedruckten Riffe auf einer Art Betonfundament am Meeresboden befestigen. Taucht ihr auch selbst bei den Projekten mit? Unterwasser passiert sicher viel Unerwartetes?

Josephine: Ja, Ulrike, Marie und Hanna aus unserem Team sind sehr gute Taucherinnen. Hanna und Ulrike haben sich bereits vor rrreefs auf einer meeresbiologischen Station auf Elba kennengelernt, Marie taucht seit sie 8 Jahre alt ist. Ich mache gerade meinen ersten Tauchkurs. Und ja, beim Tauchen muss man sich immer wieder auf neue, unerwartete Situationen einstellen. Mir fällt da spontan eine Situation mit einem Hammerhai ein, von der Ulrike erzählt hat…

Ulrike: Oh ja das stimmt…das war in Kolumbien! Ich muss dazu sagen, dass ich jahrelang an einer bestimmten tropischen Planktonart geforscht habe. Und bei einem Übungstauchgang habe ich unter Wasser plötzlich ‚Trichodesmium‘, also dieses spezielle Bakterium gesehen. Ich habe mich gefreut und gedacht ‚Uhh Trichodesmium im Wasser‘. Man kann sie sehr gut erkennen, da sie wie kleine Flocken aussehen. Ich war ganz darauf fokussiert, habe noch versucht, es zu fotografieren… Und plötzlich zappelten alle wie wild und zeigten ‚HAMMERHAI!‘. Das weiß ich allerdings nur, weil sie es mir erzählt haben. Ich hatte den Hai wirklich nicht bemerkt und habe das auch erst beim Auftauchen wirklich mitbekommen, wie nah der war, weil ich nur auf meine Cyanobakterien gestarrt habe (lacht). Nerd halt.

Ihr habt von null auf hundert ein Green-Tech gegründet und wachsen lassen. Von anderen Gründern hört man immer wieder von vielen Herausforderungen, die einem in einer solchen Phase begegnen. Welche Herausforderungen musstet ihr meistern?

Josephine: Eine Herausforderung war sicherlich die technische Umsetzung des 3D-Drucks für unser Riff in Kolumbien. Hier mussten wir sehr geduldig sein, da wir immer nur in kleinen Mengen produzieren konnten. Das hat uns ziemlich beschäftigt, auch das Logistikthema: Wie bringen wir die einzelnen Elemente und das Werkzeug von der Schweiz nach Kolumbien?

Ulrike: Ja, das war eine der prägendsten Situationen, die wir in letzter Minute gemeistert haben. Unsere Sachen kamen alle zu spät an, wir hatten das nicht richtig geplant, hatten Verzögerung im Hafen von Cartagena. Am Tag, an dem die Steine unter Wasser gebracht werden sollten, kamen sie auf den letzten Drücker an und mussten schnell transportiert werden. Das war eine ziemliche Odyssee. Und gleichzeitig muss man in so einer frühen Phase immer sehr stark die Kosten im Auge behalten. Was ich aber wirklich sehr positiv betonen kann, ist, dass wir uns jederzeit auf unser Team verlassen konnten. Da lief wirklich alles glatt, wir arbeiten sehr gut zusammen und sind sehr füreinander da. Dadurch gab es auf der Teamseite nie Schwierigkeiten.

Wie plant ihr das Fördergeld aus dem Planet Hero Award einzusetzen?

Josephine: Zum einen arbeiten wir gerade an einem neuen, größeren Prototyp, den wir auch an Plätzen mit stärkeren Strömungen aufbauen können und damit konkret als künftige Wellenbrecher an den Stellen entgegenwirken, an denen es eine besonders hohe Erosionsgefahr gibt. Wir wollen irgendwann ready dafür sein, tausend Kilometer Küsten mit gesunden Korallenriffen zu schützen. Dafür sind ganz andere Produktionsformen und Modelle notwendig, um solche großen Korallenmodule zu bauen. Dieses Zielbild haben wir immer im Hinterkopf. Unser nächster Schritt sieht aber erst einmal so aus, dass wir in der Dominikanischen Republik unseren Prototypen verbessern wollen und ein etwa zehnmal so großes Riff wie in Kolumbien anfertigen wollen. Dazu gehört auch, die Logistik zu verbessern. Wir wollen gerne die gesamte Produktionsstätte in Container verlagern, sodass alles, was man braucht, um ein Riff zu produzieren, in den Containern ist und wir es so flexibel zu verschiedenen Orten bringen können.

Ulrike: Grundsätzlich sind wir sehr aufgeschlossen und offen dafür, was die Zukunft bringt. Wir haben beispielsweise auch schon eine Anfrage für die Nordsee erhalten. Dort werden Riffanlagen für einen Offshore-Windpark benötigt, ein ganz anderer Ansatz, der aber grundsätzlich auch denkbar wäre. Hier freuen wir uns auch, dass wir künftig auf das Know-how von Zurich zurückgreifen können.

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Josephine Graf und Ulrike Pfreundt

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