Position: Neue Allianzen in der Kommunikation

Position: Neue Allianzen in der Kommunikation

Jede Information, egal ob wichtig oder banal, ist heute binnen Millisekunden weltweit verfügbar. Ein Thema, das für die Unternehmenskommunikation Fluch und Segen zugleich ist. Denn selbst wenn Unternehmen selbst zu Medienhäusern werden: Es reicht nicht, immer mehr News, immer verkürzter auf immer noch mehr Kanälen im Social World Wide Net zu posten. Wir müssen die Kommunikation in und aus den Unternehmen neu denken.

Wie ist unsere Wahrnehmung heute? Ein Blick zur Rush Hour in die morgendliche S-Bahn gibt Auskunft. Jeder zweite bildet eine Einheit mit seinem digitalen Endgerät und surft durch Chat-Räume und Nachrichten-Feeds. Das Volk hat sich in gebeugter Haltung digitalisiert und atmet Informationen ein und aus – fast schon mit Suchfaktor. 250 Mal schaut der normale User pro Tag auf sein Smartphone – doch wer betrachtet sich hier als „normal“? Der Konsum von News, früher eine teilweise intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Nachricht – heute ein Häppchen Fast Food. Zeitungen und Onlineportale pushen den nicht abreißenden Strom mit einer Flut von Eilmeldungen und „Snackable Content“, um mit ihren Geschichten nicht zu verlieren. Und im Tweetdeck tickern Posts im Sekundentakt über den Bildschirm. Wer soll da noch durchblicken und gar die gesamte Situation erfassen? Und welche Informationen sollen da noch durchdringen? Und wie?

Twitter und Co machen es vor: Sie liefern schnelle „to go“ Information. Dabei werden im Kern auch äußerst komplexe Themen wie die Migration, die Zukunft des Verbrennungsmotors, das Scheitern der „Jamaika-Gespräche“ oder die Lebensversicherung kurzerhand zu Hashtags wie #refugeeswelcome, #dieselgate, #nomaika und #runoff verkürzt. Themen werden vereinfacht und oft auch polarisiert. Das Stakkato der Nachrichtenproduktion lässt differenzierte Betrachtungen immer seltener zu – und bietet weder Zeit noch Raum dafür. Ob in 140 oder 280 Zeichen.

Hier setzt die Herausforderung an die Unternehmenskommunikation an: Wie sollen Botschaften ihre Adressaten finden? Wie sollen Unternehmensnachrichten Teil einer differenzierten Betrachtung werden, die mehr ist, als ein Schwarz-Weiß Bild von zugespitzen Meinungen? Ein „Play Out“ der Informationen über die klassischen Kanäle versandet immer mehr; Redaktionen schrumpfen, kompetente Fachjournalisten werden leider rar. Viele Unternehmen haben reagiert. Innovative Big Player, wie auch die Zurich Gruppe Deutschland, leisten sich heute einen „Newsroom“, eine „Kontentfabrik“ oder einen „Content-Hub“. Dahinter steckt im Kern stets die gleiche Philosophie: Content Manager entwickeln Geschichten, bündeln Inhalte und bespielen immer mehr eigene Kanäle mit zielgruppengerechten Botschaften. Das Unternehmen als Medienhaus.

Doch ist allein die Erhöhung der Taktfrequenz über vorhandene Kanäle der richtige Weg? Wirkt das Rezept „viel hilft viel“ verbunden mit der Hoffnung, dass ein Schrotkorn schon irgendeinen Treffer landen wird?

Vielleicht lohnt der Blick darauf, wer Unternehmenskommunikation künftig auch betreiben kann, und wie in den Kommunikationsbereichen gearbeitet wird. Denn eines ist klar: Die Unternehmenskommunikation als kategorischer Imperativ und Flaschenhals hat in vielen Bereichen ausgedient. Denn die klassischen Kommunikationsabteilungen sind in einer demokratisierten schnellen Newswelt noch immer gefesselt in Abstimmungsschleifen und Freigabeprozessen. Zudem haben die unternehmenseigenen Plattformen in der Regel noch immer eine zu geringe Reichweite, um wirklich relevant zu sein.

Neue Kommunikatoren wagen

Was also tun? Ein naheliegender aber bislang nur von wenigen Kommunikationschefs konsequent geebneter Weg: Die Unternehmenskommunikation ist gut beraten, neue Allianzen zu schmieden. Allianzen mit den Mitarbeitenden der Unternehmen. Denn Kommunikation aus einem Unternehmen findet schon lange nicht mehr über nur über das Sprachrohr Kommunikationsabteilung statt. Mitarbeiter sind bereits zahlreich in ihren Communities unterwegs und sprechen über ihr Unternehmen. Auch sie sind Botschafter, Multiplikatoren und Influencer. Die Unternehmenskommunikation muss sich ihnen nur öffnen, ihnen das Angebot machen, sie einzubinden und den Weg vom Gate Keeper zum Enabler wagen.

Wie soll das gelingen? Der Weg dahin ist weniger schwierig, als vermutet. Er braucht vor allem eines: Mut auf der Seite der Kommunikationsverantwortlichen. Der besteht vor allem darin Kommunikation im Unternehmen zu entgrenzen, indem die Wirklichkeit akzeptiert wird. Noch immer gibt es Unternehmen, die eine offene Kommunikation predigen, aber den Internetzugang für ihre Mitarbeitender sperren. Compliance-Richtlinien sind das eine – die Begründung, die Mitarbeiter würden durch die Internetnutzung von der Arbeit abgelenkt das andere. Die Fakten jedoch liegen auf dem Tisch. Meist in Form eines Smartphones. Denn die Mitarbeiter tragen damit ihre eigene Kommunikationszentrale mit sich herum. Technisch ähnlich leistungsfähig wie eine Kommunikationsabteilung, können Sie so Nachrichten über Twitter absetzen, Bewertungen bei Kununu abgeben, Kommentare bei Facebook und Erfahrungsberichte bei LinkedIn einstellen. Die schlichte Erkenntnis: Die Zeiten, in denen die Kommunikationsabteilung das alleinige Sprachrohr nach außen ist, sind de facto vorbei. Was liegt also näher, sich diesen Umstand zu Nutze zu machen und die Interessen und Potenziale der Mitarbeiter, die gerne kommunizieren, im Unternehmen zu bündeln?

Lasst sie doch yammern!

Die Unternehmenskommunikation tut gut daran, jene Kollegen im Unternehmen, die sich ohnehin gerne und mit erkennbarem Engagement und Talent in ihren Communities bewegen, ins Boot zu holen. Damit sind die Profi-Kommunikatoren aufgerufen, diesen Kollegen Hilfestellungen zu geben, wie man richtig kommuniziert. Mitarbeiter müssen in die Lage zu versetzt werden, die interessanten Botschaften, die einen Bezug zu ihrem Unternehmen darstellen, auch auf ihren Kanälen adäquat zu verbreiten. Es geht ausdrücklich nicht darum, „den Finger drauf“ zu haben und zusätzliche Flaschenhälse zu erzeugen. Es geht nicht darum, Kontrolle auszuüben, sondern darum, Hilfestellung zu geben und für den kommunikativ richtigen Umgang mit Themen zu sensibilisieren. Das stärkt auch das „Wir“ Gefühl im Unternehmen und sorgt dafür, dass das Unternehmen mehr aktive Botschafter hat, als nur die Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation.

Das fängt in der Praxis bei Kleinigkeiten wie der Fußballmannschaft im Betriebssport an. Ein Post über einen Sieg im Derby mit dem Mitbewerber bringt eine kleine positive Akzeptanz für die Firma. Auch Fachspezialisten, die mit Vorträgen und auf Podien aktiv sind, teilen dies gerne in ihren Communities mit. Freunde und Kollegen lesen, liken oder teilen das. Und schon hat das Unternehmen, ohne Wunsch oder Auftrag, ein kleines, aber positives Image in die Welt transportiert. Auch solche kleinen Geschichten gilt es zu forcieren, ein positives Umfeld zu schaffen, ohne dass die Leitung der Unternehmenskommunikation diese Geschichten pushen muss.

Der Ruf nach einer vollständigen Liberalisierung der Unternehmenskommunikation ist dies jedoch nicht. Die Unternehmenskommunikation muss zuvor klar regeln, wer sich zu welchen Themen äußern darf – und wer eben nicht. Auch in Zukunft muss es eine klare Definition dessen geben, was und wie von den Kommunikationsprofis und den jeweiligen Sprechern kommuniziert wird und wer den Journalisten auch weiterhin als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Qualität und Professionalität dürfen dabei niemals nicht leiden. Und so müssen die Kommunikationsmanager auch in Wissenstransfer und Qualifikation investieren, wenn Sie die Kompetenzen der Unternehmenskommunikation entgrenzen und Mitarbeitende außerhalb ihres Verantwortungsbereiches für die Kommunikation einbinden. Daraus ergibt sich zwangsläufig auch, dass Kommunikationsmanager und deren Chefs, meist also Geschäftsführer oder Vorstände, bereit und offen für eine andere Fehler- bzw. Ergebniskultur sein müssen. Auch hier gilt: Fehler sind der Weg zum Erfolg. Ohne dies alles wird eine Entgrenzung der Unternehmenskommunikation scheitern.

Und wer bereits dabei ist, die äußeren Grenzen der Unternehmenskommunikation neu zu definieren sollte auch über die inneren Grenzen nachdenken. Denn es ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob und wo strukturelle Grenzen zwischen der internen und der externen Kommunikation noch sinnvoll und effizient sind. Ohne Frage: Auch weiterhin ist eine zielgruppenspezifische Kommunikation essentiell. Doch in Zeiten, in denen alleine aufgrund der technischen Ausstattung der Mitarbeitenden die Silos zwischen interner und externer Kommunikation bröseln, kann es sinnvoll sein, im Sinne der Simplifizierung von Prozessen und Strukturen auch über eine schlankere Aufstellung und Verbindung dieser Abteilungen nachzudenken. Wer sich hier weniger verkompliziert, wird am Ende mehr Zeit für Kreativität gewinnen, um Geschichten in der notwendigen inhaltlichen Tiefe und Breite zielgruppengerecht zu entwickeln und zu verbreiten.

Agile Kommunikation von Anfang an

Und hier ergibt sich ein weiterer notwendiger Schritt in die Richtung der modernen Unternehmenskommunikation. Dieser führt fast zwangsläufig zum „Design Thinking“. Der Begriff aus dem Produktdesign der 20-er Jahre wird derzeit auf dem Weg zum agilen Unternehmen des 21. Jahrhunderts neu entdeckt. Und auch für die Kommunikation 4.0 ist er mehr als relevant. Denn Kommunikatoren sollten nicht nur über disruptive Ansätze im Unternehmen berichten, sie sollten sie auch für ihren eigenen Bereich in Betracht ziehen.

Schließlich erhöht sich die Geschwindigkeit, mit der jede Art von Kommunikation heute betrieben wird immer weiter. Auch neue Technologien wie Sprachsteuerung und Bots nehmen ihren Platz am Newsdesk ein. Das bedeutet, dass auch Kommunikatoren ihre Arbeitsweisen signifikant anpassen müssen, um im Schwarz-Weiß-Stakkato der Nachrichten mit relevanten Positionen durchzudringen. Die Zeiten, in der der Geschäftsführer in der Tür des Newsrooms steht und verkündet: „Wir haben eine Entscheidung getroffen, macht da schnell mal was draus“ versprechen keinen Erfolg in der Zukunft. Denn so hängt die Kommunikation der Wirklichkeit immer eine Spur hinterher. Ein ehrlich gemeinter Dialog und eine neue Agilität in diesem sich verändernden Umfeld sind dringend notwendig. Dazu kommt ein höherer Druck in der Wettbewerbsfähigkeit.

In den Unternehmen führt dieser Wettbewerbsdruck bereits zu neuen agilen Arbeitsweisen. Hier setzt sich die Methode des Design Thinking in unterschiedlichen Ausprägungen mehr und mehr durch. Dabei lernen die klassischen Unternehmen in der Methodik viel von Start-ups – ohne sie jedoch zu kopieren. Das Besondere: Der Weg zum agilen Arbeiten bedeutet zwangsläufig auch eine Veränderung der Organisationsstrukturen. Unternehmen bewegen sich strukturell weg von hierarchischen geprägten Systemen hin zu interdisziplinär geprägten und hierarchieübergreifenden Design Thinking Teams. Auf dem Weg vom Ego-System zum Eco-System werden Kompetenzsilos und Hierarchien aufgelöst. Wenn also Experten künftig in agilen Design Thinking Teams an kundenorientierten Lösungen arbeiten, dann muss das auch für die Unternehmenskommunikation gelten. In den Design Thinking Teams werden die Kommunikationsexperten mit Produktentwicklern, mit IT-, Marketing- und Vertriebsexperten in interaktiven Prozessen arbeiten. Und damit werden sie von Beginn an in werdende Entscheidungen eingebunden – und können früh die begleitende Kommunikation neu entwerfen.

In dieser Arbeitswelt werden die Kommunikatoren also häufiger in den physischen und virtuellen Design Thinking Teams unterwegs sein und nicht nur im unternehmenseignen Newsroom. Zu viel Zeitaufwand? Auf den ersten Blick vielleicht. Aber der Benefit entsteht dadurch, dass die tangierende Kommunikation früher entwickelt wird und Kommunikationsrisiken früher erkannt werden können. Hier entstehen Effizienzen, die in eine tiefere und kreativere Auseinandersetzung mit der behandelten Thematik investiert wird. Dies zahlt auch auf die Relevanz von Unternehmenskommunikation ein, die sich in Zukunft noch stärker über analytische und beratende Kompetenzen sowie über Kreativität und technisches Verständnis definieren wird.

Diese neue Form der Kommunikationsorganisation verändert selbstverständlich auch die Führung in der Kommunikation. Denn Kommunikationschefs müssen bereit sein, Verantwortung abzugeben. Das erfordert zum einen ein hohes Maß an Managementkompetenz und Vertrauen in das eigene Kommunikationsteam. Zum anderen erfordert es, dass der Kommunikationschef künftig noch viel stärker als bisher als Mentor für sein Team wirkt. Er muss nicht nur in Qualifizierung investieren, sondern auch stärker auf zukünftige Entwicklungen und technische Anforderungen vorbereiten –  denn technische Kompetenz wird bei den Kommunikatoren der Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen. Vertikale Hierarchien dagegen werden in der Kommunikationsorganisation der Zukunft an Bedeutung verlieren.

Fazit: Die Unternehmenskommunikation nach klassischem Zuschnitt hat keine Zukunft.

Aber eine neu entworfene Unternehmenskommunikation hat Zukunft und sogar das Potenzial, an Relevanz zu gewinnen. Dafür muss sie bereit sein, sich in disruptiven Zeiten selber zu hinterfragen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Die Entgrenzung von Kommunikation und das Nutzen des Mitarbeiterpotenzials ist ein Weg. Die Veränderung der Arbeitsweisen und die Einführung von Design Thinking ein weiterer. Kommunikationsverantwortliche brauchen dafür Weitsicht, Mut und den Rückhalt der Geschäftsführung oder des Vorstandes. Denn nur so können die notwendigen Veränderungen gelingen. Im Interesse des Unternehmens und im Interesse der Zukunft der Unternehmenskommunikation.

 

Dieser Text erschien im PR Magazin Ausgabe 12/2017.

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Beitrag von:
Bernd O. Engelien

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